Aufruf zur Demo „Niemand ist vergessen, Nichts ist vergeben!“ und zum Jugendblock am 24. Oktober 2020, 16:30 Uhr Südplatz

Vor zehn Jahren, in der Nacht vom 23. zum 24. Oktober 2010 wurde Kamal K. von Nazis ermordet. Gerade einmal 19 Jahre alt wurde Kamal, bevor er nahe des Leipziger Hauptbahnhofs erstochen wurde. Unter dem Motto „Niemand ist vergessen, Nichts ist vergeben!“ wollen wir gemeinsam an diesen Mord und alle anderen rechten Morde erinnern.
Schauen wir uns die letzten zehn Jahre an, ist eine traurige Kontinuität, wenn nicht sogar eine Steigerung rechter Gewalttaten zu erkennen. Diese richten sich nicht nur gegen Migrant*innen, Menschen mit Behinderungen, Jüd*innen, queere Menschen oder Antifaschist*innen, sondern auch gegen Wohnungslose und sozial benachteiligte Menschen. 
Seit 1990 wurden in Deutschland mindestens 42 Menschen aus sozialdarwinistischen Motiven von Rechtsextremen ermordet. Zu den Opfern gehört auch Karl-Heinz Teichmann, der 2008  in der Leipziger Innenstadt von einem Nazi angegriffen wurde. Der 59-jährige, der nahe des Schwanenteichs auf einer Parkbank schlief, verstarb 2 Wochen nach dem Angriff im Krankenhaus. Der 18-jährige Täter, der sich zum Tatzeitpunkt auf dem Heimweg von einer rechten Mahnwache befand, wurde 2009 wegen heimtückischen Mordes zu einer Haftstrafe von acht Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Tat wurde vom Gericht nicht als rechtsextrem motiviert eingestuft, obwohl der Verteidiger des Täters einen rechten Hintergrund bestätigte. Das ist kein Einzelfall!
Um die Ausmasse der rechten Gewalt verstehen zu können, müssen wir auch auf die Akzeptanz rassistischer und sozialdarwinistischer Ideologien bei der deutschen Polizei eingehen. In vielen Fällen sind diese menschenfeindlichen Einstellungen Motiv für Gewalttaten, falsche Anschuldigungen und in einigen Fällen sogar Mord. 
Viele werden den Fall Oury Jalloh kennen, der 2005 auf einer Polizeiwache in Dessau ermordet wurde. Die Geschichte ist bekannt: Oury Jalloh starb an schweren Verletzungen, die er sich selbst nicht antun konnte und wurde danach in der Zelle 5 des Dessauer Polizeireviers verbrannt. Es folgten Jahre der Verschleierungs- und Vertuschungstaktiken, die vermutlich von den höchsten Stellen des Inneministeriums von Sachsen-Anhalt geduldet und gefördert wurden. Der deutsche Staat schützt seine Täter*innen in Uniform. 
Der weniger bekannte Teil der Geschichte über die Dessauer Polizeistation: bereits 3 Jahre zuvor starb auf der selben Wache, in der selben Zelle wie Oury Jalloh, ein wohnungsloser Mann namens Mario Bichtemann. Er wurde mit einem Schädelbasisbruch aufgefunden. Ein strafrechtliches Verfahren gegen den Dienstellenleiter Andreas S. wurde eingestellt. 
Dieser war auch schon Leiter der Polizeistelle in der Wolfgangstraße 25, als 1997 der erwerbslose  Hans Jürgen Rose dort seinen gewaltsamen Tod fand. Alle drei Ermordeten waren in angetrunkenem Zustand verschleppt und sadistisch verletzt worden. Sie waren leichte Ziele für die TäterInnen, die bis heute vom Korpsgeist der Polizei und dem Unwillen der Justiz, rechte TäterInnen zu verfolgen, geschützt werden. Wenn von den Sicherheitsbehörden eine so akute Gefährdung der sozialdarwinistisch stigmatisierten Bevölkerung ausgeht und für TäterInnen ein Klima der Straffreiheit herrscht, so spielt dass in die Hände derer, die ihre menschenverachtende Gewalt gegen vermeintlich schwache soziale Gruppen in der Gesellschaft ausleben. 
In der aktuellen Diskussion um die Unterwanderung der deutschen Polizei durch Rechtsradikale wird nur allzu oft vergessen wie viele Menschen schon im Umgang mit der Polizei ums Leben gekommen sind, weil sie nicht in ein Bild von deutschen RassistInnen und SozialdarwinistInnen passten.  Wer keine Wohnung hat, wer keine Arbeit nachgeht, wer nicht aussieht wie die Rechten das erwarten um einen als Menschen anzuerkennen, lebt gefährlich in diesem Land.  Wir müssen an diese Menschen erinnern, die der rechte Konsens in diesem Land totgeschweigen möchte. Es ist an uns, das poltische Klima in diesem Land zu verändern, dem schon so viele Menschen zum Opfer gefallen sind. Der rechte Konsens ermöglichte es dass der NSU, Stiefelnazis und rechte Polizist*innen jahrelang morden konnten. Auch wenn der deutsche Staat Opfern wie Lübcke gedenkt und die anderen Toten am liebsten totschweigen möchte: für uns gibt es keine Opfer erster und zweiter Klasse. Wir erinnern uns an all die Opfer rechter Gewalt, ihr Tod ist für uns eine Warnung vor den Zuständen in diesem Land. Wer nicht in das Bild eines wohlhabenden und weißen Menschen passt, zählt für diesen Staat eben weniger. 
Die Wohnungs-  und Erwerbslosen, die ärmeren Schichten der Gesellschaft werden stigmatisiert und können sich nicht auf die Unterstützung des Staates verlassen. Sie werden als Aussätzige von den Behörden klassifiziert und von der Mehrheitsgesellschaft so betrachtet. Die aktuelle Coronakrise verschlimmert die Situation, in der sich wohnungslose und sozial benachteiligte Menschen befinden, noch weiter. Der Aufforderung, zuhause zu bleiben, können sie nicht nachkommen. Selbst das regelmäßige Händewaschen ist eine Herausforderung. Hilfsangebote und Notunterkünfte müssen wegen der Krise oft geschlossen bleiben.  Wiedereinmal zeigt sich, wer in diesem Land etwas wert ist: für große Unternehmen, wie die Lufthansa blättert der Staat unglaubliche Summen hin und für den Mittelstand fällt auch einiges an Steuergeldern ab. Doch was ist mit den 50.000 Menschen die in Deutschland „auf der Straßeschlafen müssen? Der Teufelskreis „keine Wohnung – kein Job – kein Job – keine Wohnung“ ist für viele nicht zu durchbrechen. Jedes Jahr erfrieren Wohnungslose auf den Straßen, sie sind chauvinistischen Übergriffen ausgeliefert und werden vom privaten und staatlichen „Sicherheitspersonal“ wieder und wieder vertrieben. 
Während Menschen auf der Straße leben müssen oder in überfüllten Lagern an Europas Außengrenzen auf engstem Raum ausharren, werden Wohnungen in Deutschland absichtlich leer gehalten. Mieten explodieren, in zahlreichen Städten schießen schicke Neubauten aus dem Boden und verdrängen die, die sich das eben nicht leisten können. Besetzte Häuser wie die #luwi71 oder die #liebig34 werden mit einem überzogenem Bullenaufgebot geräumt, Wälder, wie der Dannenröder Wald #dannibleibt oder der Hambacher Forst #hambibleibt werden für neue Autobahnen oder klimaschädliche Braunkohle gerodet. Nazis morden immer öfter und ihre Gewalt wird alltäglich. Rechte Hetze ist massentauglich und der Staat schaut weg.  An Aufklärung und einem angemessenen Gedenken wird kein Interesse gezeigt. Also liegt es wiedereinmal an uns. 
Wir wollen der rechten Gewalt etwas entgegensetzen und nicht hinnehmen, dass unsere Freund*innen in Angst leben müssen! Wir wollen nicht wegschauen bei Angriffen und fordern Aufklärung von rechten Straftaten und die Aufdeckung von rechten Netzwerken!
Kommt am 24. Oktober um 16:30 Uhr zur Demo am Südplatz und schließt euch gerne unserem Jugendblock an!
Beteiligt euch an den Aktionswochen zum Gedenken an die Opfer rechter Gewalt!
Macht Bilder eurer Aktionen und Beiträge und veröffentlicht sie auf de.indymedia.org und Social Media. Nutzt die Hashtags #NiemandIstVergessen, #KamalK #le2410
Schickt Fotos und Videos eurer Aktionen an niemandistvergessen@riseup.net und initiativkreis@riseup.net
Niemand ist vergessen, Nichts ist vergeben!
Rechten Terror bekämpfen!
Fight for your future!
Wir verwenden bei rechten TäterInnen das Binnen-I, da es laut ihrer Ideologie/Selbstverständnis lediglich zwei biologische Geschlechter gibt. Das „*“ verwenden wir bei allen weiteren Akteur*innen, um die in der Gesellschaft verankerte Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit aufzubrechen.